Augenblick des Glücks: Mehr zum Stück...
Die Geschichte von Ingo Schulze beinhaltet ein starkes Ost - West Spannungsfeld. Die Verortung im Osten Europas ermöglicht eine schärfere Sicht auf die kapitalistisch geordnete Welt - dort ist der Kapitalismus noch relativ "frisch" und unverblümt. Mit einem Haufen Geld aus Deutschland lässt sich der Osten scheinbar "kaufen" - Zitat: "Bei den Angestellten ließ man mir freie Hand, da es auf fünfzig Dollar im Monat mehr oder weniger nicht ankam." Fünfzig Dollar bedeuten für die einheimischen Angestellten allerdings ein Vermögen. Diese Unverhältnismäßigkeit mit ihren Folgen für die Beziehungen der Menschen untereinander und zur Arbeit erlebbar zu machen, ist ein Ziel unseres Projektes. Wir bringen ein Stück abstrakte Globalisierung sinnlich konkret auf die Bühne.
Im Verlauf des Stücks verändert sich die Richtung der Energie: ist die Anfangseuphorie noch stark nach außen gerichtet - das Herstellen einer Zeitung für die Welt da draußen -, geht es allmählich immer mehr um das konkrete, greifbare Miteinander während des Arbeitens. Das Stück entwickelt eine nach innen zielende Kraft. Dazu begeben wir uns auf die Suche nach einer zwischenmenschlichen Qualität, die bei Schulze als "russisch" beschrieben wird. Tatsächlich ist es spannend, mit den Klischees zu spielen: die Sicht des Deutschen auf die Vorgänge in seinem Betrieb z.B. kommt ja nicht von ungefähr, sondern liegt in einem typisch deutschen Verhältnis zur Arbeitswelt begründet.
Bei den Angestellten gilt es, eine Mentalität zu erfinden - besser: in sich zu entdecken - die vielleicht etwas mit dem echten Russland in Nachwendezeiten gemein hat, die aber vor allem korrespondiert mit unseren verschütteten Bedürfnissen nach Gemeinschaft und Nähe. Die Konstellation der Figuren gibt dem Publikum Gelegenheit, über den eigenen Standpunkt zu reflektieren, über sich zu lachen - getreu dem Motto: Erkenntnis ist heiter -, sich in Relation zu setzen zu anderen Mentalitäten und Umgangsweisen und eigene Defizite des Miteinanders, der Kommunikation zu erkennen.
TheaterschaffT ist auf der Suche nach Formen eines modernen Volkstheaters. Das Komödiantische spielt dabei eine Hauptrolle. Wir erzählen etwas über Schmerz, über Ausweglosigkeit - umso lebenswichtiger ist der Humor. Humor ist ein Akt der Befreiung. Mit unserem internationalen Team begeben wir uns in ein sechswöchiges "Theaterprobenlabor" in Leipzig, Heuersdorf und Halle. Die unterschiedlichen Erfahrungshorizonte insbesondere in Bezug auf das Thema bringen die Schauspieler explizit in die Probenarbeit ein. Mit besonderem Interesse wollen wir die individuellen und nationalen Mentalitäten erforschen im Verhältnis zum Thema Arbeit: Arbeitet man um zu leben, oder lebt man um zu arbeiten? Das Bühnenbild benutzt die Realität der sehr unterschiedlichen Theaterräume: es gibt einen 3 x 3 x 3 Meter großen Kubus, der als Fixpunkt und Zugang zum Raum funktioniert, sowie als Verortung der Außenwelt. Der jeweilige Theaterraum um diesen herum erlebt während der Aufführung durch den Einzug der Redaktion eine erste Transformation zum Arbeitsraum und dann eine sukzessive zweite Transformation zum Lebensmittelpunkt seiner "Bewohner".
Nach der Premiere am 13. Oktober in Halle wird an jedem neuen Spielort in einer kurzen, intensiven Probenphase eine aktuelle Version der Aufführung erarbeitet. Wir versuchen eine Utopie, was vielleicht die schönste Aufgabe des Theaters ist, indem wir eine Insel schaffen, auf der das Leben in einer Zweckgemeinschaft von Menschen lebenswert ist. Wenigstens für einen Augenblick des Glücks, bis die Zeit und die nach außen gerichteten Interessen darüber hinweggehen müssen und die Gemeinschaft wieder zerstören. Wobei die Zerstörung nicht feststeht - der Ausblick ist offen: wird die Gemeinschaft die Kraft haben, zu überdauern, sich vielleicht zu erneuern?