Sagt Lila: Mehr zum Stück...
Aus dem Vorwort der deutschen Ausgabe:
"Dieser Roman hat eine außergewöhnliche Geschichte. Der französische Verlag, bei dem er zunächst herausgekommen ist, erhielt das Manuskript von einem Rechtsanwalt, der es persönlich überbrachte. Der Autor, Chimo, der in diesem Manuskript seine Erlebnisse beschreibt, wünschte anonym zu bleiben. Und auch heute, lange nach dem ersten Erscheinen (1996), weiß man nicht, wer sich hinter dem Namen verbirgt.
Das Manuskript bestand aus zwei roten Schulheften, wie es sie in jedem Supermarkt zu kaufen gibt. Es trug keinen Titel, die Wendung "Lila dit &cced;a" stand in Großbuchstaben am Rande der siebten Seite. Sie erschien als Titel geeignet und wurde auch für die deutsche Ausgabe verwendet.
Ist die so offen und mitunter recht drastisch erzählte Geschichte des neunzehnjährigen Chimo und der sechzehnjährigen Lila in der Vorstadt von Paris tatsächlich authentisch oder reine Erfindung? Einig war man sich in der französischen Presse zumindest darüber, dass hier, wenn nicht einer der bekannten Autoren, so doch ein großes literarisches Talent als Urheber gelten muss. Von einem 'Kunstwerk' (Le Nouvel Observateur) ging die Rede, von einem Roman, der trotz seines Stoffes 'nie in die Vulgarität' (Le Figaro) abrutscht, der Zeugnis ablegt 'von der Gewalttätigkeit einer Gesellschaft, der die Idee der Liebe verlorengegangen ist' (Le Monde)."
Chimo spricht in seinem Buch über Brutalität und Hoffnungslosigkeit, über den Glauben und den Terrorismus, über Kriminalität und Sex. Seine Sicht auf diese Dinge widerspricht den Klischees, die wir von unseren fremden Nachbarn haben und ist teilweise sehr verstörend und erhellend.
Ziel unserer Stückentwicklung ist es, die Hoffnungslosigkeit, aber auch die Sehnsucht und Kraft der Romanvorlage umzusetzen. Wir wollen zeigen, wie sehr die Herkunft eines Menschen und die Umstände seines Heranwachsens seine Sicht auf die Welt prägen und wie schwer es sein kann, sich davon zu lösen - wenn niemand sich dafür interessiert.
SAGT LILA ist auch die Geschichte eines gesellschaftlichen Scheiterns. Fremd zu sein im eigenen Land, ohne Aussicht auf einen Ausbildungsplatz und eine Karriere in der bröckelnden Wohlstandsgesellschaft - das ist die Realität für viele junge Ausländer, die zwar hier geboren sind und unsere Sprache sprechen, aber dennoch am Rand bleiben, abgeschoben in "Sozial"siedlungen und Betonburgen.
Unsere Gesellschaft hat bisher keinen Weg gefunden, eine wirkliche Integration zu ermöglichen. Die kulturellen Unterschiede sind teilweise sehr groß und scheinen unüberbrückbar, doch zunehmend zieht sich die Gesellschaft - wie auch in anderen sozialen Bereichen - einfach aus den Problemzonen zurück und überläßt die Menschen ihrem Schicksal oder wenigen unterbezahlten Sozialarbeitern.
Für die nachwachsende Generation der Immigranten ist es dabei besonders schwierig, oft fühlen sie sich zerrissen: Auf der einen Seite stehen die Verlockungen der "modernen Welt", doch der Eintritt bleibt ihnen durch ihre Herkunft oder mangelnde Ausbildung verschlossen. Auf der anderen Seite stehen die Traditionen ihrer Eltern, zu deren Wurzeln sie keinen Zugang mehr haben. So sehen sie keine andere Möglichkeit, als "sich so durchzuschlagen" und oft geraten sie deshalb in eine Spirale aus Drogen, Gewalt und Kriminalität.
Das ist die Welt, in der Chimo aufwächst. Die Liebe ist wie alles andere eine Handelsware, so lernt und sieht er es: "Alles ist hier Beton, also sind auch unsere Herzen Beton", sagt er und als Lila sich ihm annähert, sucht er den Haken und den Preis für ihre Zuneigung und kann nicht verstehen, daß sie ihn einfach mag und daß Liebe keinen Preis haben muß.
Lila hat einen riesigen Lebenshunger, sie sehnt sich nach Freiheit, ohne daß sie sagen kann, worin diese Freiheit bestehen sollte, für sie zählt nur, herauszukommen aus der geistigen Enge der Vorstadt. Chimo ist der Einzige, dem sie sich wirklich anvertrauen möchte, doch ihre Ausdrucksweise ist drastisch und anzüglich, sie kennt keine anderen Worte als die Sprache der Ghettos. Leben bedeutet hier "Durchkommen" und Liebe bedeutet "Sex" - anders haben Lila und Chimo es nie kennengelernt. So entstehen Mißverständnisse und Verunsicherungen, die Brutalität der Lebensumstände, in den Gefühle zum Überleben nur hinderlich sind, durchdringt ihr Denken und Handeln und führt am Ende gegen ihren Willen in die Katastrophe.