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"Ändere die Welt; sie braucht es." -- Bertolt Brecht
"Sag mal, ist gerade irgendwo Krieg?" -- Andy, 35 Jahre

EIN LEBENSGEFÜHL
Ändere die Welt; sie braucht es, das haben wir, die Generation der um 1970 Geborenen auch einmal gedacht.
Im Jahr 1989 fiel die Aufbruchstimmung eines ganzen Landes mit unserem Aufbruch ins eigene Leben zusammen. Wir erlebten eine Revolution! Niemand wusste, wie es weitergehen würde für einen kurzen Moment schien alles möglich zu sein. Die Mauer war gefallen, der Kalte Krieg vorbei, Pläne wurden in Ost und West geschmiedet und auch wir träumten von einer idealen Welt und einer neuen Gesellschaft.
17 Jahre später. Sag mal, ist gerade irgendwo Krieg?
Diese Frage spiegelt sehr deutlich unsere Kapitulation vor dem immer unübersichtlicher werdenden Weltgeschehen wieder. Jeglichem Ansatz, die Welt zu verändern oder auch nur darüber nachzudenken, begegnen wir mit Skepsis, Zynismus oder Ratlosigkeit. Letztendlich sind die meisten von uns unpolitische Menschen geworden und eigentlich nur mit sich selbst beschäftigt.

STÜCK
In unserer Stückentwicklung geht es um verlorengegangene Ideale, um Freundschaft und um Angst.
Wir wollen der Frage nachgehen, warum sich viele Menschen mit einem Leben zufrieden geben, in dem es nur um die vermeintliche Selbstverwirklichung geht, dem aber jegliche gesellschaftliche Relevanz fehlt.
Den Menschen in unserer Generation geht es in Deutschland vergleichsweise gut. Viele von uns verdienen mit Arbeit gutes Geld und auch mit Arbeitslosenhilfe kann man einigermaßen durchkommen. Wir haben genug zu essen und schöne Wohnungen, wir können unsere Kinder im Frieden aufziehen und versuchen, uns zu verwirklichen.
Dennoch leben wir in einer Gesellschaft, in der man lediglich seinen Individualismus pflegt. Politisches Engagement und tätige Anteilnahme an der Entwicklung der Allgemeinheit überlässt man anderen und gibt damit die Verantwortung für existentielle Probleme ab.
Wir führen zu wenig den Diskurs über den Sinn des Lebens, wir stellen uns zu wenig Fragen und uns selbst zu wenig in Frage.
Da alle gesellschaftlichen Utopien scheinbar versagt haben, beschränkt man sein Engagement auf sein eigenes Leben.
Ist das eine Alterserscheinung, ist es Verdrängung oder Überforderung oder einfach nur Faulheit, Desinteresse und Übersättigung?
Die Figuren unseres Stückes haben ein ähnliches Lebensgefühl, aber sie würden das nie offen zugeben.
Haben sie zu Beginn ihrer Freundschaft vor vielen Jahren darüber diskutiert, für welche politischen Ziele man auf die Straße geht, so diskutieren sie heute über den besten Rotwein. Sie glauben, sie wären noch die alten und zelebrieren ihre Freundschaft mit den Ritualen von früher ...
Doch das Treffen bekommt durch einen Deus ex machina eine unerwartete Wendung.
Wir lassen unsere Helden in der Versuchsanordnung des geschlossenen Raumes auf die Ideale ihrer Jugendzeit in Gestalt ihrer toten Freunde treffen.
Die Toten verkörpern den ursprünglichen Anspruch an ein erfülltes Leben und bringen alte Gedanken und Ideen zur Sprache. Was sich sonst mit zynischem Lächeln abtun ließ, wird in der Auseinandersetzung mit der eigenen Vergangenheit immer schmerzlicher.
Verborgene Emotionen brechen hervor das führt zu Abwehrreaktionen. Man ergeht sich in Schuldzuweisungen, wäscht schmutzige Wäsche und versucht den Status quo aufrechtzuerhalten. Doch die gelackte Fassade bröckelt.

GENRE
Der dem Thema innewohnenden Moral wollen wir mit dem unmoralischen Gestus des Horrorgenres begegnen. Mit den Mitteln des Überraschend-Schreckenerregenden und dessen Einbruch in eine reale Alltagswelt werden die Figuren mit ihren Problemen an Grenzen getrieben, an die man sonst nie stößt.
Uns interessiert, den Diskurs über Egoismus, Verdrängung und Lebenslügen in eine exemplarische Situation und Handlung einzubetten, die wir aus anderen Medien (Roman oder Film) kennen. Das ermöglicht uns, spielerisch die Schmerzpunkte von Menschen unserer Generation zu suchen und die Mechanismen der Egozentrik, wie wir sie beobachten, zu entlarven.
Horrorfilme und Geisterstorys sind Teil der modernen Ikonographie und bieten eine Fülle von Motiven, die wir mit theatralischen Mitteln untersuchen und für uns nutzen wollen. Wobei der Umgang mit Grusel und Schauer auf der Bühne auch eine gewisse Leichtigkeit im Kontrast zum Thema verspricht.
"Eine apollinische Gesellschaft wird von einer Dionysischen Kraft gestört. Das Chaos bricht aus [...] am Ende steht die Katharsis. Wir erfinden Schrecken, um mit dem tatsächlichen Schrecken in und um uns fertig zu werden."
"Auf einer anderen Ebene ist es aber [...] eine bewegte rhythmische Suche, die Suche nach dem Druckpunkt."
"Die Horrorgeschichte [...] kommuniziert direkt mit dem Ansatz der Wirbelsäule und berührt das kauernde Ding in uns allen, das immer noch voller Entsetzen über das Feuer hinaus ins Dunkel hinter der Höhlentür starrt. Ein traditioneller Spuk würde von den Nachbarn ausgelacht werden. Was also würde meine gebildeten Vorortbewohner überzeugen? Was würde Beziehungen kaputtmachen und Verteidigungen schwächen und den vorstädtischen Panzer brechen? [...] Jede Person hat ihren eigenen, eingebauten Horrorknopf."