Die Idee zu dem Projekt entstand in den Monaten nach dem 11. September 2001. Unter dem Eindruck einer plötzlich die westliche Welt im Allgemeinen - aber auch uns Deutsche im Speziellen - betreffenden Kriegsgefahr begann bei uns zwangsläufig eine neue Reflektion zum Thema Krieg.
Die ILIAS als eine der literarischen Wurzeln der abendländischen Kultur überhaupt trägt schockierenderweise bereits alle Züge und Ingredienzien des aktuellen Konfliktes in sich. Troja ist Rom ist New York. New York ist heute als Lebensraum die Bündelung aller Errungenschaften der westlichen Welt, ein Scheitelpunkt unserer Kultur. So wie Troja in der Vorzeit. Troja hat sich als ebenso unangreifbar empfunden wie heute New York. Troja ist damit auch ein Synonym fr Selbstberschätzung.
Andererseits steht auch die griechische Politik in der Sage für einen modernen Aspekt: sie fühlt sich ebenfalls als eine überlegene Kultur und nimmt den Raub der Helena zum Anlass, mit dem Selbstverständnis eines Weltpolizisten den Präventivschlag gegen eine als Bedrohung empfundene Macht zu führen.
Vor diesem Hintergrund blicken wir auf die Haltung Deutschlands im aktuellen politischen Weltgeschehen, speziell nach dem 11. September 2001. Dabei interessiert uns nicht nur die Haltung Deutschlands als Staat, sondern auf ganz persönlicher Ebene unsere eigenen Haltungen, unser eigenes Unverständnis und Unvermögen, zum Thema Krieg Stellung zu nehmen. In unserer Version der ILIAS erzählen wir die Geschichte von Menschen, die einerseits auf einem Scheitelpunkt ihrer Kultur leben und sich fr unangreifbar halten, andererseits plötzlich in einem internationalen Konflikt stehen, der ihre gesamte Existenz bedroht.
Der Ursprung von TheaterschaffT ist der des Gauklertums: über Land zu fahren, um ein Theaterstück aufzuführen. Dieses Unterwegssein hat etwas Missionarisches. Wir bringen unsere Botschaft von Stadt zu Stadt, unter die Leute. Wir tun das mit Witz, weil wir an das Lachen glauben, an das Lachen als hohe Form der Gesellschaftskritik. Wie schon 1996 mit den SAGENHAFTEN NIBELUNGEN folgen wir der Volkstheatertradition, ein anspruchsvolles und bedenkenswürdiges Thema mit komödiantischer Spielweise und Ästhetik zu verknüpfen. Einerseits wollen wir die Geschichte des Trojanischen Krieges erzählen, andererseits interessieren uns vor allem die Haltungen der Krieger beider Seiten (Trojaner und Griechen) zum Krieg. Diese Haltungen werden in unserer Version wiedererkennbar die Haltungen der Deutschen des Jahres 2003 sein. Getreu der Überzeugung man muss den Frieden populär machen nehmen wir den Bellizismus, den Pragmatismus, die Gleichgültigkeit gegenber dem Menschheitsthema Krieg aufs Korn, indem wir die Sache durchspielen und fragen: was wäre denn, wenn es wirklich wieder losginge?
TROJA, das ist kein unbekannter Name. Das Homerische Werk hat weltweit seine Verbreitung gefunden, ist nacherzählt, neu erzählt und verfilmt worden. Unsere Zuschauer werden mehr oder weniger über den trojanischen Krieg wissen. Die schöne Helena, geraubt vom schönen Paris, beide vereint als Liebespaar in Troja; der listige Odysseus, dessen Irrfahrt mit dem Ende des trojanischen Krieges beginnt; das hölzerne trojanische Pferd, in dessen Rumpf die Griechen sich verstecken und dadurch die Trojaner überrumpeln können; Kassandra, deren Weissagungen niemand glaubt - von diesen Geschichten hat man irgendwann schon mal gehört... Nur wie war das noch mal?
Der Untergang von Troja: das ist die Geschichte eines gigantischen Kräftemessens zweier Weltmächte. Troja, das ist die Geschichte eines gehörnten Ehemanns und seiner vernichtenden Rache. Die Geschichte einer Liebe, die zwei Völker in den Abgrund reißt, die Geschichte des Raubes der Helena und der sich daraus ergebenden Zerstörung des trojanischen Reiches verbunden mit dem Tod der größten griechischen Helden. Wir begegnen Hektor, Paris, Achilles, Ajax, Odysseus, Agamemnon, Helena und Kassandra - wir begleiten sie und sehen sie am Ende scheitern.
Mit den Trojanern und Griechen erleben wir zwei satte, hochdifferenzierte Gesellschaften. Beide werden eigentlich vom Krieg überrascht. Offiziell will ihn politisch erst mal niemand. Aber die Situation erfordert eine Reaktion, siehe Joschka Fischers Wandel vom Pazifisten zum Befürworter z.B. des Einsatzes der Bundeswehr in Afghanistan. Getreu seiner Überzeugung: wenn wir vor Jahren in Bosnien gleich militärisch interveniert hätten wie dann später in Mazedonien, könnten 250.000 Menschen noch am Leben sein...
Die Trojaner und die Griechen, zwei zivilisierte Völker mit wirtschaftlichem und militärischem Ansehen, sind zwei gleichwertige Gegner. Beide Seiten sehen sich als das überlegene Volk an. Die Trojaner glauben nicht an einen Untergang ihrer Festung und die Griechen können sich nicht vorstellen, als Verlierer aus der Schlacht zu gehen. Diese anmaßende und dekadente Haltung treibt das Schicksal beider Völker in die Katastrophe.
Was wäre, wenn...? ist immer eine spannende Ausgangsfrage. Also fragen wir: Was wäre, wenn WIR in den Krieg ziehen müssten? In unserem Stück werden wir Deutsche uns mit beiden Vlkern identifizieren können. Wir haben die Chance, zwei Seiten des Krieges zu zeigen, die der Angreifer und die der Angegriffenen.
Einen Konflikt ber Töten und ber Zerstörung lösen zu wollen, ist primitiv. Der Mensch ist dem Krieg nicht gewachsen, weil er dem Tod nicht gewachsen ist. Er unterliegt der Kriegsmaschine, sobald er sie losgetreten hat. Ein Mensch, der sich den Krieg wünscht, ist blind vor Selbstberschätzung - oder er ist ein Provokateur. Der Filmemacher Faßbinder lässt eine seiner Figuren sagen: Jede Generation sollte einen Krieg erleben, damit die Werte wieder stimmen! Unser Stück spielt mit dieser Provokation. Das Stück TROJA soll dem Zuschauer den Krieg als Faszinosum vorführen, dem man sich nicht entziehen kann, ja in dessen Bann sich der Betrachter gern verliert. Selbstredend geht es nicht um Kriegsverherrlichung, sondern um die bange Frage: Wie weit sind wir von einem Krieg entfernt?
Was wäre ein wirklich triftiger Grund für Deutschland, seine Soldaten in den Krieg zu schicken? Ein terroristischer Angriff auf ein ähnlich symbolhaftes Gebäude wie das World Trade Center in New York? Wie groß ist die Bereitschaft zum Krieg in Deutschland? Wie weit geht hier die Billigung eines Krieges, wenn es einen guten Grund gibt?
Die Deutschen, die Krieg erleben mussten, leben heute in Altersheimen und sterben allmählich aus. Es ist eine Generation, die aus eigenem Erleben wusste, warum sie den Krieg hasst. Der nachfolgenden Kinder- und Enkelgeneration fehlt die Erfahrung Krieg. Wird sie deshalb pragmatischer und leichtsinniger im Umgang mit Kriegsgefahren? Die Vision des Friedens ist der rote Faden durch unser Stück über den trojanischen Krieg.